Das Problem mit den Studien
Wenn Low Carb gar nicht Low Carb ist

Kohlenhydratreduktion doch sinnlos?

Ende August 2017 versetzten die Ergebnisse einer Studie die Low Carb-Welt in freudige Erregung: Eine umfassende, internationale Langzeitstudie, die sogenannte PURE-Studie (wir berichteten) ergab, dass es vielerlei positive gesundheitliche Auswirkungen hätte, den Kohlenhydratanteil stark zu reduzieren und dass auch das Verzehren gesunder Fette – ausdrücklich auch aus gesättigten Fettsäuren – der Gesundheit zuträglich wäre.

Wer sich bereits länger mit kohlenhydratarmer Ernährung und den Auswirkungen auf die Gesundheit beschäftigt, für den war das nichts Neues. Immerhin existieren zahlreiche Studien, die dies auf die ein oder andere Art bereits festgestellt hatten. Nur diesmal war die Resonanz in den Medien, auch den sog. Massenmedien wie der Bildzeitung, deutlich stärker – möglicherweise deshalb, weil Low Carb immer verbreiteter wird.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis die ersten Pressemitteilungen und Artikel veröffentlicht wurden, dass der Low Carb Hype Unsinn sei und neueste Studien das Gegenteil beweisen würden – denn nach wie vor wäre fettreduzierte Ernährung mit moderater bis höherer Kohlenhydratzufuhr der Königsweg.

So lautete als Reaktion auf die verheißungsvolle PURE-Studie eine Überschrift bei einem Onlinemagazin beispielsweise „Her mit den Spaghetti! Kohlenhydrate machen weder dick noch krank.“

Diesen Artikel wollten wir uns beispielhaft genauer ansehen um herauszufinden, wie die Autoren zu diesem Schluss kamen.

Chinesische Studie: Mehr Kohlenhydrate gleich mehr Gewichtabnahme?

Zunächst wurde eine Chinesische Studie zitiert, in der die chinesischen Studienleiter letztendlich feststellten, dass die Probanden der Studie mehr Gewicht verloren, wenn sie weniger Fett aßen und den Kohlenhydratanteil hoch hielten.

Doch was genau wurde in der Studie eigentlich untersucht?

Die Teilnehmer der Chinesischen Studie waren junge, gesunde Erwachsene im Alter von 18 bis 35 und hatten alle einen Body Mass Index unter 28. Während der Studie waren sie in einer abgeschirmten Umgebung untergebracht und durften ausschließlich essen, was man ihnen vorsetzte und nur moderat Sport treiben, um keine Ergebnisse in Bezug auf das Abnehmen zu verfälschen.

Sie wurden zufällig in drei Gruppen eingeteilt.

Gruppe 1 erhielt Nahrung, die die Wissenschaftler als fettarm und kohlenhydratreich bezeichneten. Diese bestand aus 20% Fett, 66% Kohlenhydraten und 14% Eiweiß.

Gruppe 2 erhielt etwas mehr Fett und etwas weniger Kohlenhydrate, nämlich 30% Fett, 56% Kohlenhydrate und 14% Eiweiß.

Gruppe 3, und hier wird es interessant, wird als Diät mit hohem Fettanteil und niedrigem Kohlenhydratanteil bezeichnet. 40% der Energie wurde über Fett aufgenommen, 46% über Kohlenhydrate und der Rest, 14%, wieder über Eiweiß.

Das Ergebnis: Am meisten nahm während der 6-monatigen Studie Gruppe 1 ab, am wenigsten Gruppe 3. Bei Gruppe 1 waren es im Schnitt 1,6 kg, in Gruppe 2 1,1 und in Gruppe 3 0,9.

Die Studienleiter folgern daraus, dass eine Ernährung, bei der Fette eingeschränkt werden und Kohlenhydrate einen größeren Anteil ausmachen, zu mehr gesundheitlichen Verbesserungen und zu größerer Abnahme bei Chinesen führen kann als die Ernährung von Gruppe 3 – die eher einer westlichen als einer asiatischen Ernährungsweise entspricht. So schrieben die Studienleiter auch, dass nicht klar ist, ob die Ergebnisse aus europäischen und nordamerikanischen Studien, die positive Auswirkungen einer Kohlenhydratreduzierung implizieren, evtl. gar nicht auf Chinesen übertragen werden können.

Das Onlinemagazin folgert nun: Kohlenhydrate essen schadet nicht, viel Fett essen hat gesundheitliche Nachteile und ist schlecht zur Gewichtsabnahme.

Alles eine Frage der Definition?

Sehen wir es uns genauer an:

Die Gruppe, die am wenigsten abnahm, nahm am Tag 40% der Kalorien aus Fett und 46% der Kalorien aus Kohlenhydraten zu sich, die Makronährstoffverteilung hatte sich also stark angenähert. Ein gesunder erwachsener Mann von normaler Größe nimmt am Tag etwa 2.500 Kalorien zu sich. Dies bedeutet in diesem Fall etwa 1.000 Fettkalorien, 1.150 Kohlenhydratkalorien und 350 aus Eiweiß. Wir wissen nicht, was die Probanden gegessen haben, aber 1.150 Kalorien aus Kohlenhydraten sind vergleichsweise in fast 800 g Nudeln enthalten. Oder in 600 g Vollkornbrot. Oder in zwei Tafeln Schokolade. Oder in 950 Gramm weißem Reis.

Daran ist nichts – aber auch wirklich nichts – Low Carb nach Definition einer kohlenhydratarmen und fettreichen Ernährung, wie man sie gewöhnlich ernährungstherapeutisch einsetzt oder durchführt, wenn man mit Low Carb abnehmen möchte. Wie die chinesischen Studienleiter ausführten: Diese Ernährung ist von unserer westlichen Ernährungsweise nicht allzu weit entfernt. Sie ist keine typische Low Carb Ernährungsweise!

Die Schwierigkeit ist, dass Low Carb kein geschützter Begriff ist. Theoretisch darf alles als Low Carb bezeichnet werden, was etwas weniger Kohlenhydrate hat als es der Durchschnittsbürger so gewohnt ist. Die Definitionen sind hier sehr schwammig. 

Viel Fett kombiniert mit vielen Kohlenhydraten – keine gute Idee

Wer nun aber eine ganze Menge Kohlenhydrate isst, wie im Fall von Gruppe 3 der chinesischen Studie, und zusätzlich den Fettanteil erhöht, bei dem verwundert es fast, dass er überhaupt abnimmt. Denn Kohlenhydrate sorgen vereinfacht gesagt für Insulinausschüttung – und die verhindert in der Regel die Fettverbrennung und begünstigt die Einlagerung von Fett. Eine Ausnahme: Man isst unterkalorisch.

Gruppe 1 erhielt, hiervon gehen wir aus, da keinerlei Angaben zur Kalorienmenge gemacht wurden, eine kalorienärmere Ernährung als Gruppe 3 – Kohlenhydrate haben deutlich weniger Kalorien als Fett. Dies ist sehr wahrscheinlich der Hauptgrund, warum die Probanden in Gruppe 1 überhaupt abnahmen – wobei der Verlust von 1,5 Kilogramm innerhalb von 6 Monaten auch kaum als großer Erfolg gefeiert werden dürfte.

Es ist schade, wenn in Schlagzeilen kohlenhydratarme und fettreiche Ernährung aufgrund unterschiedlicher Definition von Low Carb als unsinnig bezeichnet wird.

Eine Ernährungsweise nach Low Carb High Fat begrenzt beispielsweise die Kohlenhydrate auf 5-25%, je nach Strikte der Auslegung. Fett macht einen Anteil von 60 bis 80% aus – für einen Mann wären das Maximal 625 Kalorien aus Kohlenhydraten – also maximal etwas mehr als die Hälfte dessen, was die Probanden der Chinesischen Studie verzehrten.

Und um auch auf diesen Aspekt noch einmal hinzuweisen: In ihrem Abstract schrieben die Studienleiter selbst, dass Studien aus Europa und Nordamerika positive Effekte der kohlenhydratarmen Ernährung nahelegen, dies aber möglicherweise nicht auf andere Ethnien übertragbar wäre.
 
Doch das Onlinemagazin führt eine weitere Untersuchung an: Amerikanische Wissenschaftler hätten vier Studien, die im Januar 2017 veröffentlicht wurden, ausgewählt und ausgewertet, und herausgefunden, dass eine extrem kohlenhydratarme Ernährung das Risiko für Diabetes Mellitus leicht erhöhen kann.

Leider ist unter dem angegebenen Link nicht öffentlich nachvollziehbar, um welche vier Studien es sich handelt und eine Überprüfung des ganzen Forschungsmaterials ist deshalb für uns aktuell nicht möglich.

Hier wäre interessant, was genau die Studienleiter der vier miteinander verglichenen Studien als Risikofaktor für Diabetes Mellitus identifizierten? Der Zusammenhang zwischen extrem kohlenhydratarmer Ernährung (was bedeutet das explizit?) und Diabetes Mellitus könnte beispielsweise eine durch ketogene Ernährung ausgelöste oder verstärkte Insulinresistenz sein – aber alles hierzu wären nur Spekulationen. Daraus aber generell zu folgern, dass Kohlenhydrate weder dick noch krank machen, ist weit hergeholt. Auch schreiben die Autoren, die die vier Studien auswerteten und verglichen selbst, dass die Studienlage höchst widersprüchlich ist - von einer Allgemeingültigkeit kann hier also nicht die Rede sein!
 
Weiter wird eine Studie an Ratten aufgeführt, die ergab, dass Ratten mit Fettleber unter kohlenhydratarmer, fettreicher Diät noch mehr Fett an der Leber ansammelten. Auch hier stellt sich die Frage, denn es ist aus dem Abstract nicht ersichtlich: Was bedeutet fettreich und kohlenhydratarm? Werden hier die gleichen Kohlenhydratmengen als kohlenhydratarm bezeichnet wie bei der Chinesischen Studie, können einem die armen Tiere nur leid tun, denn dann bekamen Sie Fett, das sie nicht gut abbauen konnten und Kohlenhydrate, die den Fettabbau verhindern und die Fetteinlagerung begünstigen. Leider lässt sich auch hier öffentlich nachlesbar nicht mehr ermitteln – die Ergebnisse sagen so aber erst einmal noch nichts über eine ketogene Diät oder „echte“ Low Carb High Fat Ernährung beim Menschen aus.

Fazit: Wie gehe ich mit Artikeln um?

Artikel und Veröffentlichungen über Ernährung sind oft widersprüchlich – der eine Artikel vertritt dies, der andere jenes. In jedem Fall lohnt es sich, genau hinzusehen und sich die als Quellen angegebenen Ursprungsstudien so gut wie möglich zu betrachten, denn hier steckt der Teufel im Detail.

Eine „Low Carb High Fat“ Diät, die an Probanden getestet wurde und schlechte Ergebnisse brachte, entpuppt sich in diesem Fall bei genauerem Hinsehen als „Medium Carb Medium Fat“ Diät, die nichts mit ketogener oder strikter kohlenhydratarmer Ernährung zu tun hat. Die Ergebnisse der chinesischen Studie sind also beispielsweise schon einmal nicht auf Menschen übertragbar, die nach den Rezepten dieser Website kochen.

Es geht auch nicht darum, die Arbeit der Redakteure oder Autoren des hier viel zitierten Artikels schlecht zu machen – nein. Aber wir möchten denjenigen, die solche Schlagzeilen und Artikel lesen und höchst verunsichert sind, ob alles nur „Lüge“ ist, was Positives über Low Carb erzählt wird, zeigen, dass es so einfach nicht ist, wie oft behauptet, und ein selber Nachprüfen von Quellen und Einordnen in das, was man weiß und kennt, sinnvoll ist.

Und: Auch wir machen Fehler. Uns ist wichtig, dass unsere Aussagen nachweisbar, nachvollziehbar und wissenschaftlich begründet sind. Sie finden Fehler oder Fragwürdigkeiten in unseren Texten? Bitte weisen Sie uns ausdrücklich darauf hin!

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